Ein Rückblick zum 175. Geburtstag

Entstehung, Entwicklung und Erscheinungsbild der Turngemeinde

Recht mühsam waren die Anfänge des Frankenthaler Turnvereins (so der damalige Name) Mitte des 19. Jahrhunderts. Überwiegend obrigkeitliche Vorbehalte standen der Turnidee. Nach Beendigung der „Franzosenzeit“ war auf dem Wiener Kongress die Pfalz dem Königreich Bayern zugeschlagen worden. Die einstige „Fabriquenstadt“ war nur noch ein unbedeutendes und hoch verschuldetes Landstädtchen. Immerhin hatte der Kanton Frankenthal wenigstens durch die Ansiedlung eines Landgerichts wieder etwas Bedeutung gewonnen. Der Flickenteppich aus mehreren Dutzend deutschen Kleinstaaten war für das sich mehr und mehr emanzipierende Bürgertum Anlass zu verstärktem Nationalbewusstsein und beflügelte das Streben nach einer deutschen Einheit. Immer stärker geriet die repressive Politik der bayerischen Regierung in den Fokus.

Schon an den Ereignissen rund um das Hambacher Fest 1832 waren Frankenthaler Bürger nicht unwesentlich beteiligt. Liberal-oppositionelles Gedankengut wurde allenthalben in der Gesellschaft verbreitet, die nationale und die revolutionäre Stimmung schaukelten sich allmählich hoch und fanden bald auch in der traditionsreichen und privilegierten Schützengesellschaft sowie im seit 1840 bestehenden Liederkranz einen Nährboden. Der herrschenden Klasse, den Obrigkeiten im fernen München, bereitete dies begreiflicher Weise Unbehagen.

Schon Anfang des Jahrhunderts war die von Friedrich Ludwig Jahn ins Leben gerufene Turnbewegung in Verruf geraten, wurde das Turnen doch seinerzeit, während der napoleonischen Besetzung Europas, als eine Art Schuleder patriotischen Erziehung zur Vorbereitung auf den Befreiungskampf verstanden. Damalige Reaktion der Obrigkeit: die so genannte Turnsperre, das Verbot des Turnwesens zwischen 1819 und 1842 in den meisten Kleinstaaten Deutschlands. So erlebte das Vereinsturnen erst Mitte der 40er Jahre einen Aufschwung; insbesondere in Süddeutschland wurden bald in vielen Städten Turnvereine gegründet. In Bayern allerdings herrschte noch – ganz im Gegensatz zu den Nachbarstaaten Baden und Hessen – ein sehr restriktives Vereins- und Versammlungsrecht.

Es muss drangvoll eng gewesen sein am 3. Juli 1846 im Häuschen auf dem Gebäudekomplex des ehemaligen Philanthropins, das den Frankenthalern als Theatersaal und Versammlungsraum diente. Eine beachtliche Anzahl „Männer und Jünglinge“ – für Frauen war Sport noch nicht hoffähig – hatten sich an diesem Freitagabend zur Gründung eines Turnvereins eingefunden, angeregt durch eine Anzeige, die im Frankenthaler Wochenblatt veröffentlicht worden war.

Einladung zur Gründung eines Turnvereins

Ein Protokoll der Zusammenkunft liegt leider nicht vor; wir erfahren jedoch (ebenfalls wieder durch eine Anzeige im Wochenblatt), dass offensichtlich schon Vereinsstatuten entworfen und ein provisorischer Vorstand eingesetzt worden war.

Die entworfene Satzung wurde in einer weiteren Versammlung am 17. Juli bestätigt. Von dieser Versammlung ist die komplette Anwesenheitsliste im Landesarchiv Speyer immer noch erhalten.

Neben den 5 designierten Vorstandsmitgliedern (Gustav Neubronner, Inhaber einer Puppenfabrik in Frankenthal, wurde zum 1. Vereinsvorsitzenden gewählt) waren ausweislich der Unterschriftenlisten weitere 80 Personen anwesend. Honorige Namen aus der Frankenthaler Bürgerschaft tauchen darin auf: Willich, Hamm, Riel, Schuck, Zoeller, Perron, Forthuber, Blankenhorn, Zwick, Neubronner. Zusammen mit einem förmlichen Gesuch um behördliche Genehmigung wurden die Satzung und die Namensliste der Königlich Bayerischen Regierung des Rheinkreises in Speyer zugeschickt. Das Ansinnen der Frankenthaler Turner war der Obrigkeit aber immer noch recht suspekt, so dass man sich in Speyer mit der Beantwortung des Schreibens zuerst einmal Zeit ließ. Als dann aus anderen pfälzischen Städten ähnliche Anträge eingingen, erkundigte man sich bei den sieben anderen bayerischen Kreisregierungen, ob dort auch schon solche Gesuche vorlägen. Die immer wieder gleichlautende Antwort: „Turnvereine sind bisher weder vorhanden noch beabsichtigt oder zur Genehmigung beantragt.“

So scheute man in der Pfalz offenbar vor einer Vorreiterrolle zurück; das Frankenthaler Gesuch wurden kategorisch abgelehnt. Interessanterweise – für Frankenthal – taucht jedoch in einem etwas späteren Schreiben der Regierung der kleine Satz auf: „Das Gesuch aus Frankenthal eröffnete den Reigen“.

Das Gesuch aus Frankenthal

Dies kann sicherlich als Beweis dafür herangezogen werden, dass sich der Fran- kenthaler Verein als ältester bayrischer Turnverein rühmen darf, wenngleich noch ohne behördliches Plazet.

Zwei Jahre später (nach der Märzrevolution) war eine offizielle Genehmigung nicht mehr nötig. Stillschweigend wurde die Betätigung der Turnvereine geduldet; auch die Frankenthaler Turner traten wieder in der Öffentlichkeit auf, feiern mit dem Schützenverein, dem Liederkranz, dem Volksverein und den Demokraten in einem feierlichen Akt Verbrüderung. Der „innige Anschluss“ sollte dazu dienen, neben dem Turnsport und dem Gesang auch den nationalen Gedanken zu pflegen und patriotisch die Forderungen der sich schon andeutenden Revolution zu pflegen. „Sänger, Turner, Schützen sind des Reiches Stützen“, kommentierte Jahre später ein bayerischer Schriftsteller diese damals allgegenwärtige Konstellation.

Anfang Mai 1849 überstürzten sich dann die Ereignisse: Der Badisch-Pfälzische Aufstands, der die gewaltsame Durchsetzung einer neuen Verfassung zum Ziel hatte, legte erneute den Turnbetrieb lahm. Die Turner wurden Teil der Volkswehren und Freikorps. Nur eineinhalb Monate später hatten preußische Truppen das Aufflackern des Freiheitswillens eingedämmt. Die bayerischen Behörden übernahmen wieder die Macht. Der Turnverein musste sich in die Verborgenheit zurückziehen.

Erst 1861 – die Stürme der Revolution und deren Nachwirkungen hatten sich weitgehend gelegt – konnte die Turneraktivität in Frankenthal wieder erwachen.

Bei einer für den 7. August 1861 einberufenen Gründungsversammlung traten 75 Leute (darunter 51 aktive Turner, wie die Vereinschronik zu berichten weiß) spontan dem Verein bei; den Beleg dafür liefert das Mitgliederverzeichnis des Turnvereins, das im Vereinsarchiv in zwei repräsentativ gebundenen Bänden für die Jahre 1861 bis 1938 noch vorhanden ist. Zum neuen Vorsitzenden wurde Johann Leonhard Braunsberg, Sohn eines Frankenthaler Gerbereibesitzers, gewählt. Das Abenteuer Turnverein, am 3. Juli vor genau 175 Jahren noch unter recht widrigen Umständen begonnen, konnte nun weitergeführt werden, konnte seinen geregelten Verlauf nehmen.

Gleich im folgenden Monat präsentierte sich der Turnverein beim 1. Pfälzischen Turnfest in Neustadt stolz mit seiner Vereinsfahne, der ihm kurz zuvor übereigneten und neu gestalteten alten Frankenthaler Bürgerwehrfahne von 1848. Für die nächsten Jahrzehnte kann die Chronik des Vereins zahlreiche Erfolge bei Gau-, Landes- und Deutschen Turnfesten vermelden. Die kontinuierliche Vereinsarbeit wurde – nur im organisatorischen, nicht im sportlichen Bereich – vorübergehend gestört, als es 1876 zur Spaltung und zur Konkurrenzgründung der „Turnergesellschaft 1876 Frankenthal“ kam. Beide Vereine bauten sich in der Folgezeit glänzende Turnerriegen auf, die sich bei allen Großveranstaltungen – regional und überregional – behaupten konnten. Aus anfänglicher Konkurrenz wurde bald ein gedeihliches Nebeneinander.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Trennung von Turnen und Sport allmählich gedanklich überwunden und es kam sukzessive zur Gründung neuer Abteilungen (Frauen- und Mädchenabteilung, Faustballer, Sänger, Fechter, Hockeyer, Leichtathleten). Die Jahre während und nach dem 1. Weltkrieg waren für beide Vereine mit mancherlei Schicksalsschlägen behaftet. Der Turnverein verlor sogar seine Turnhalle am heutigen Röntgenplatz durch einen Brand im Oktober 1919. Kaum hatte man diese Widrigkeiten einigermaßen überwunden, sorgte das nationalsozialistische Gleichschaltungsbestreben für eine einschneidende Veränderung. Der „Turnverein“ und die „Turnergesellschaft“ wurden 1938 unter dem Namen „Turngemeinde Frankenthal von 1846″ vereinigt.

Nach dem Wiederaufbau des Vereins 1949 waren es insbesondere die Sparten Fechten, Leichtathletik und Hockey, welche die TG in die Schlagzeilen brachten. Immer wieder tauchten Sportler auf, die für Schwung und Fortschritt sorgten. Garanten des Erfolges über Jahrzehnte hinweg waren bei den Fechtern beispielsweise Hans Huß („Friesenkämpfer“ par excellence, unter anderem auch Deutscher Seniorenmeister) und Erich Hammer (Europameister der Senioren im Florettfechten 1991).

Bei den Leichtathleten war Karlheinz Mehle (Deutscher Meister im Steinstoßen bei den Deutschen Turnmeisterschaften 1964 in Kassel) lange Jahre Leistungsträger, ebenso wie Heinz Schulz, der sich  – 1973 Deut­scher Seniorenmeister der Altersklasse M 40 über die 75-Meter-Distanz – später den Wurf- und Stoßdiszipli­nen verschrieben hatte und neben vielen Endkampfplatzierungen bei Deutschen Meisterschaften vier 3. Plätze bei Se­niorenweltmeisterschaften in seine Trophäen-Sammlung einreihte. Auch an die Sprinterelite mit Bernd Miketta, Wolfgang Ziegler und Walter Fasold sowie den emsigen Trainer Volker Brat-Reimann sollte hier erinnert werden.

Ehrung der Stadt Frankenthal

Als sich im Jahre 1922 einige Sport­ler beim Frankenthaler Turnverein aufgeschwungen hatten, um mit Krummstöcken Bälle zu traktieren, war das erst einmal nur eine kleine Fa­cette in dem schon traditionsreichen Turnverein, der immerhin schon ein dreiviertel Jahrhundert alt war. Zwar gab es schon in den 30er Jahren einen Frankenthaler Hockey-Nationalspieler, Rudi Weyland (dem allerdings der Sprung in die Silbermedaillengewinner-Mannschaft der Olympischen Spiele 1936 in Berlin nicht gelang), doch deutete nichts dar­auf hin, dass sich hier ein neuer Sportzweig etablierte, der ein halbes Jahrhundert später wie kein anderer die Stadt Frankenthal bekannt machen würde. Da stand nämlich 1972 bei den olympischen Spie­len in München einer aus der TG-Hockeyabteilung ganz oben auf dem Siegertreppchen: Peter Trump. Der 213-fache Nationalspieler wurde Identifikationsfigur und Aus­hängeschild für den Frankenthaler Hockeysport. Sein Vereinsteam war einige Jahre zuvor am deutschen Hockeyhimmel erschienen. Der Titel des Deutschen Hallenmeisters, den die Grün-Schwarzen 1969 errangen, war der Beginn einer fast einzigartigen Ära, die in der inzwischen gegründeten Hockey-Bundesliga den „Tramps aus der Pfalz“ zehn Deutsche Meister­titel (sieben in der Halle – fünf in Fol­ge -, drei im Feld) brachte.

Deutsche Meister der TG Frankenthal

Auch der langjährige Coach Giovanni Vicca, Abteilungsleiter Helmut Müller und Mannschafts-Manager Friedrich Götzelmann prägten die Erfolgsgeschichte der Mannschaft, die mit dem Gewinn des Europapokals der Landesmeister 1984 im spanischen Terrassa ihren größten Sieg feiern konnte. Peter Trump und seine Mannschaftskameraden beflügelten die Damenmannschaft ebenso wie auch den Hockeynachwuchs. So kam die Jugend – männlich wie weiblich – zu einer ganzen Reihe von nationalen Titelehren. Die Mädchen A-Mannschaft wurde 1979 Deutscher Hallenmeister, die Frankenthaler weibliche Jugend 1982 Feldmeister. Der 1982 errichtete Kunstrasenplatz (1985 Austragungsort des Europapokals) war wohl zusätzlicher Anreiz. Er hat mittlerweile eine attraktive Erneuerung erfahren dürfen und präsentiert sich seit 2018 in sattem Blauton.

Sind die Hockeyer – trotz ausbleibender Meistertitel in den letzten Jahren – zwar auch weiterhin das wichtigste Standbein der TG, so spielt sich das sportliche Geschehen im Verein nicht nur auf dem Hockeyrasen ab. Neue Leistungsträger haben von sich Reden gemacht: so insbesondere bei den Fechtern mit etlichen jungen Talente wie Alexander Bappert, Thilo Liebhaber und Viktoria Kühborth. Und auch wenn die alte Turnerherrlichkeit schon lange vorbei ist, spielt noch im turnerischen Brei­tensportbereich die große Frau­enabteilung eine Rolle. Einige neue Sportarten ergänzen mittlerweile die Pa­lette des Vereinsangebotes. Leider nur relativ kurzfristig waren die Impulse durch Gründungen einer Judo- und einer Karateabteilung. Momentan hat sich eine Boule-Abteilung etabliert, und im Turnbereich sind Steppaerobic, Zumba und Funktionsgymnastik angesagt; auch Kleinkinder- sowie Mutter-Kind-Turnen erfreuen sich großer Beliebtheit. Außerdem hat in den letzten Jahrzehnten die Jazz­tanzgruppe mit ihren Schautänzen viele Farbtupfer gesetzt.

Jazztanzgruppe

Von den Jüngsten bis zu den Äl­testen, von den Leistungssportlern bis zu jenen, denen Sport Ausgleich, The­rapie oder Körperertüchtigung ist: Al­len muss ein moderner Verein Platz bieten, er muss der Entwicklung vom Breiten- bis zum mehr leistungsorientierten Wettkampfsport Rechnung tragen. Die Turngemeinde versucht das zu meistern und kann so auch weiterhin mit Stolz die Jahreszahl 1846 in ihrem Vereinsnamen tragen. Zum Gedenken an jene 85 Männer und Jünglinge, mit denen damals alles be­gann.